Das Kind mit dem Gravensteiner
Ein kleines Mädchen von sechs, sieben Jahren,
Mit Kornblumenaugen und strohgelben Haaren,
Kommt mit einem Apfel gesprungen,
Hat ihn wie einen Ball geschwungen,
Von einer Hand ihn in die andre geflitzt,
Dass er blendend im grellen Sonnenlicht blitzt.
Sie sieht im Hofe hoch aufgetürmt
Einen Holzstoß, und ist gleich hingestürmt.
Und wie ein Kätzchen, katzenleicht,
Hat sie schnell die Spitze erreicht,
Und hockt nun dort, und will mit Begehren
Den glänzenden, goldgelben Apfel verzehren.
Da, holterdipolter! pardauz! pardau!
Bricht zusammen der künstliche Bau.
Wie bei Bergrutsch und Felsenbeben
Haben Bretter und Scheite nachgegeben;
Wie alle Neun im Kegelspiel,
So alles übereinander fiel.
Die Leute im Hofe haben’s gehört
Und laufen hin entsetzt und verstört;
Die Mutter liegt ohnmächtig, Gott erbarm,
Einem raschen Nachbarn im hilfreichen Arm.
Nun geht’s ans Räumen der Trümmer von oben,
Vorsichtig wird Stück für Stück gehoben,
Vorsichtig geht’s weiter in dumpfem Schweigen,
Der Atem stockt: Was wird sich zeigen?
Da – sitzt in einer gewölbten Halle
Das lächelnde Kind wie die Maus in der Falle,
Hat schon vergessen den Purzelschrecken,
Und beißt in den Apfel und lässt sich’s schmecken.
- Detlev von Liliencron (1844 – 1909)
Liebe Helga 🙂
diese alten Gedichte und Balladen liebe ich ja sehr – und gerade auch von Liliencron. Ich hab den „Ewigen Brunnen“ (der bestimmt auch aus Stein wäre, wenn man ihn sich bildlich vorstellt) daheim, eine wahre Fundgrube solcher Gedichte.
Das Bild unten von dem See ist phantastisch .. was für eine Farbe des Wassers .. und diese Weite – toll!
Ich wünsche dir ein schönes Wochenende und schicke dir liebe Grüße 🙂
Ocean